infomedia-sh.de, April 2004

Wenn Bücher fallen
Gerald Grotes „Tödliche Roman(z)e“ hatte im Kieler KoKi Premiere

„Tödliche Roman(z)e“ (Premiere im Kieler KoKi am 19. März, gefördert von der MSH) ist nicht nur dem Filmtitel nach eines der berühmten Wortspiele des Kieler Autors Gerald Grote, dessen „Grote(sken)“ einst die letzte Seite des Kieler Stadtmagazins KIEL mit eben solchen Wortverortungen bereicherten. Wenn Grote denkt oder auch dichtet, kommen dabei meist frapante, zur Kenntlichkeit entstellte (um mit Brecht zu sprechen) Wortverdrehungen heraus. Eine „adrette Taschenbüchin“ namens „Madame Bovary“, verehelicht mit dem Regalhochstapler „Felix Krull“, der anderen Damen zwischen Seiten und Schenkel guckt und sticht, ist die Hauptperson in „Tödliche Roman(z)e“. Sie fragte, als Grote dichtete, einen dicken Schmöker, ob er ihr nicht das bieten könnte, was Herr Krull ihr infolge anderweitiger Le(c)ktüre vorenthielt. Sorry, er sei „gebunden“, antwortete der Dickband - geboren war eine Filmidee für einen Animationsfilm ohne Animation.

Karsten Weyershausen, mit Grote seit langem befreundet und wortpielverbunden, drehte die Idee in seiner Herzbibliothek um und um, schon wurde daraus ein „Dreh“buch, das „Buchfühlung“ aufnimmt. In neun schlanken Kurzfilmminuten geht Madame Bovary mit einem billigen Playboy-Heftchen fremd, was ihren Gatten den Dektektiv „Mike Hammer“ auf den Plan rufen lässt.
Der freilich kann sich Charme und Chapter der Bovary auch nicht entziehen, die Katastrofe ist programmiert. Am Ende bricht sich Krull den Buchrücken und ist „ab Seite 43 gelähmt“, die Bovary ist tot und Mike Hammer hat paar bleikugelige Lochungen im Ex libris

Wenn Bücher fallen sollen wie einst flatterhafte Mädchen, braucht’s ein bisschen ausgeklügelte Maschinerie, um das zeitlupend zu filmen. Nur eines der Probleme am Dreh, das der Kieler Filmemacher Daniel Krönke in seinem Making Of namens „Aufgeblättert“, fast so gut im Wortspiel wie das Original, porträtierte - nebst so ziemlich allen Beteiligten, die im September 2003 in einer Kieler Werkhalle tagelang an neun Minuten Film arbeiteten, vom Kameramann Claus Oppermann bis zum Best Boy und Best Girl. Wenn Grote filmen lässt, das zeigt auch Krönke, ist der Wortwitz selbst am Set allgegenwärtig und omnipotent.

Das Tödliche der Romane besteht in ihrer Unbeweglichkeit. Sie stehen stumm im Regal. Sie zu animieren, mit den Buchdeckeln klappern und das geduldige Papier ungeduldig (und lüstern) rauschen und räuspern zu lassen, wäre keine schlechte, aber eine konventionelle Idee gewesen. Nein, Grote und Oppermann bewegen nicht die Bücher, sondern die Kamera, die über die Folianten streicht. Um aus den Romanen Romanzen zu machen, schwenkt sie über liebevoll ausgestatte Stills (Ausstattung: Maren Jaenisch), fährt auf und ab durch den Dachboden, wo sich zwischen den Spinnweben der Literaturhistorie das Drama ereignet. Das ist ausgesprochen filmisch, unterstützt durch die märchenhafte Off-Stimme von Franz-Josef Steffens und die kongeniale Filmmusik von Christopher Evans Ironside.
Das Feeling vergangener 50er Jahre Zeiten weht durch den Film, bewusst verstaubt, bewusst Hollywood, bewusst bezogen auf die „Schwarze Reihe“, bewusst filmhistorisch. Grote evoziert einen Kosmos, der zwischen den Buchrücken schon träumt, aber filmisch erweckt werden will. Das hat etwas von Literaturverfilmung im ganz ursprünglichen Sinn, indem es den filmischen Angang der Bücher allzu wörtlich nimmt. Die Bücher selbst in ihrer papiertigernden Existenz zu Akteuren zu machen, ist der Clou dieses Filmchens, das den Büchern so intelligent und telegen auf den Lumbeck-Leim geht.

Von Jörg Meyer












Kieler Nachrichten, 31. März 2004

Madame läßt ihre Hüllen fallen
Spannende Bücher gehören zu den schönsten Dingen im Leben. Sie setzen das Kino im Kopf in Bewegung. Der Kieler Gerald Grote hat sich auf ganz eigene Art mit Literatur beschäftigt. Er drehte im September einen Kurzfilm, der schnulzige Schmöker und treulose Taschenbücher buchstäblich zu Hauptdarstellern auf der Leinwand macht. "Tödliche Roman(z)e" heißt der Film, der ab Donnerstag als Vorfilm zum isländischen "Nói Albinói" im Kommunalen Kino in der Pumpe läuft
Neun Minuten lang dreht sich alles mit viel Wortwitz um die unglückliche Ehe von "Madame Bovary" mit "Felix Krull", die auf dem verstaubten Dachboden leben und in Sachen Liebe keine unbeschriebenen Blätter sind. Krull bändelt mit Maria Stuart an, , mit Effi Briest und Minna von Barnhelm. Und Madame Bovary läßt ihre Hülle für Peer Gynt, die drei Musketiere und den von Krull engagierten Detektiv Mike Hammer fallen; auch der "Playboy" hat es ihr angetan. Alles endet literarisch tragisch: Krull und Bovary stürzen vom Regal. Der "Playboy" landet im Schredder, Hammer leidet an Bücherwürmern.
Genial umgesetzt, keine Sekunde langweilig, und schon die sonore Off-Stimme von Franz-Josef Steffens, der einst Anthony Quinn synchronisiert hat, weckt den Wunsch, sich "Madame Bovary" von ihm einmal ganz vorlesen zu lassen

Von Karina Dreyer




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